VOGUE, COSMOPOLITAN, ELLE oder BURDA sind einige der weltweit bekanntesten Modezeitschriften. Doch aus dem kleinen Städtchen Forst an der Neiße stammt das „Hänsel-Echo“, quasi der Vorläufer der heutigen Modezeitschriften. Die Idee dazu hatte Bruno Henschke, Generaldirektor der „Handelsgesellschaft Hänsel & Co.“.
Henschke griff eine Idee von Schlossermeister Oswald Hänsel auf, der zusammen mit seinem Gehilfen und Mechaniker Grabein ein Verfahren entwickelt hatte, Rosshaare – also Tierhaare – zu verzwirnen, um so einen kontinuierlichen Faden herzustellen. Die Herstellung von Geweben aus Rosshaar war bislang zeitaufwändig und kompliziert. Bruno Henschke erkannte die Bedeutung von Hänsels Erfindung, ging in Vorleistung und finanzierte Weiterentwicklung und Bau einer neuen Umspinnmaschine. Endlich konnte man Rosshaarfäden kontinuierlich verweben und fabrikationsmäßig herstellen.
Produkte aus Rosshaar eignen sich wunderbar als wattierter Einlagestoff und Stützmaterial für die Weiterverarbeitung. Sie sind leicht und elastisch. Dieser neue Einlagestoff eröffnete dem Schneiderhandwerk völlig neue Möglichkeiten. Man konnte viel sicherer arbeiten. Auch die Passform stimmte. Eine vorgefertigte Einlage wurde entwickelt, womit das Zuschneiden entfiel und das Einarbeiten der Textilien für den Schneider einfacher wurde.
Doch wie sollte das Schneiderhandwerk von den Vorteilen erfahren? Eine kleine Broschüre mit einem Preisausschreiben wurde an die Schneiderzunft verschickt. Der Broschüre waren kleine Stoffmuster beigefügt.
Diese Broschüre war der Wegbereiter. Es erscheint das „Hänsel-Echo“, eine Betriebszeitung aus dem hauseigenen Verlag der Hänsel-Werke, und informierte das Schneiderhandwerk. Es gab Anleitungen zur Weiterverarbeitung der Stoffe und zeigte Modetrends. Deutschlands Schneider sollten solche Mode herstellen, wie sie der Grafiker Harald Schwerdtfeger für das Unternehmen aufs Papier zeichnete.
Das „Hänsel-Echo“ zeigt den Mann von Welt – mal elegant-sportlich, dann wieder lässig, in Abendgarderobe oder beim Familienausflug. Die Mode nahm eine ganz wichtige Stelle im Hänsel-Echo ein. Die passenden Schnittmuster gibt es im Heft ein paar Seiten weiter.
Es ist eine einzigartige Werbeaktion für Hänsel-Produkte. Neben den Modezeichnungen finden sich auch Darstellungen aus dem Betrieb. Schon in der ersten Ausgabe vom Frühjahr/Sommer 1927 werden die Erfolge der Hänsel-Werke gewürdigt. Und in einem späteren Vorwort heißt es:
- „Die bisherige Überlegenheit der Hänselwerke sowohl in der Größe des Betriebes
wie in der Güte der Ware ist auch im Jahre 1928 weiter verstärkt worden. Von der
Bedeutung der Hänselwerke geben folgende Feststellungen ein anschauliches Bild:
1. Die Hänselwerke sind die ersten gewesen, die Zwirnroßhaarstoffe überhaupt
hergestellthaben. Alle übrigen Zwirnroßhaarstoffe, gleichviel in Deutschland oder
sonst auf der Welt sind Nachbildungen der echten Hänselerzeugnisse.
2. Die Hänselwerke sind die ersten gewesen, die Roßhaarstoffe gewaschen und
gekrumpft haben. Echte Hänselkrumpf ist überall auf der Welt der Begriff
vollkommener Krumpfungsweise.
3. Die Hänselwerke sind größer als die gesamte übrige Zwirnroßhaarfabrikation
Europas zusammengenommen.
4. Es gibt kein Zwirnroßhaarwerk auf der ganzen Welt, das auch nur annähernd an die Größe
der Hänselwerke heranreicht.
5. Es gibt kein Zwirnroßhaarstoffwerk in Deutschland wie auch in den übrigen Staaten Europas,
das nur den 4. Teil der Größe der Hänselwerke erreicht.“ (Quelle: „Hänsel-Echo“, Ausgabe 1)
Und weiter heißt es:
„Wir treiben keine uferlose Reklame. Wir überlassen das laute – leider oft so überlaute – Anpreisen gern denen, deren Ware dieser Anpreisungen bedarf. Unsere eigenen Werbekosten sind gering gegenüber unserem Umsatz. Unser erfolgreichstes Werbemittel ist unsere Ware. Unser ständiger Aufstieg beweist es besser als alle Worte, daß der Wert und die Zuverlässigkeit unserer Ware den Kreis der Hänselfreunde in regelmäßiger Stetigkeit immer weiter und immer schneller vergrößert. Und mit besonderer Freude berührt es uns, daß unsere alten Hänselfreunde, wie wir aus vielfachen Zuschriften immer wieder ersehen dürfen, wenn sie es wirklich einmal anderweitig versucht haben, bald und endgültig zum guten, erprobten, zuverlässigen Original Hänsel zurückkehren. Hänsel bleibt Hänsel!“
Solche Äußerungen machen Eindruck in der Fachwelt. Das „Hänsel-Echo“ war zu dieser Zeit eine kleine Sensation. Die Auflagenhöhe liegt bei 120.000 Exemplaren. Bis Heft 26, Herbst-/Winterausgabe 1939/40, erschien das „Hänsel-Echo“ zweimal jährlich mit jeweils 16 Seiten. Nicht nur in Deutschland ist das „Hänsel-Echo“ erhältlich. Belegt sind Landes-Ausgaben in den Niederlanden, der Tschechoslowakei und Frankreich. Es ist zu vermuten, dass auch in Skandinavien, den Benelux-Staaten, England, der Schweiz, Österreich, Jugoslawien und auch in Japan „Hänsel-Echos“ erschienen – oder es bis dorthin in deutscher oder englischer Sprache geschafft haben. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde das Erscheinen eingestellt.
Auffallend ist dabei, dass alle Hefte frei waren von jeglichen politischen Äußerungen, sowohl in Wort als auch im Bild. Es sollte immer nur über Technik und Mode informiert werden.
Nach Ende des 2. Weltkrieges beginnt ein Neustart in den Hänsel-Werken. Im November 1948 wird das Forster Werk in „Hänselwerk Vereinigung volkseigener Betriebe (VEB), Spinnweber Gubener Straße 37″ umbenannt. 1955 wurde die VEB Haartex gebildet, 1960 wurde die Produktion nach Coswig verlegt. 1961 entstand die „VEB Ostdeutsche Tuchfabrik, Spinnerei und Zentralwerkstatt“ und schließlich 1967 der „VEB Forster Tuchfabriken“.
Bruno Henschke hatte sich nach dem Krieg in den Westens geflüchtet und baute in Iserlohn einen neuen Standort für Hänsel-Textil auf, der 2009 in Insolvenz ging. Auch das „Hänsel-Echo“ wurde wieder aktiviert. Zwischen der Ausgabe Herbst/Winter 1955/1956 und der Ausgabe Herbst/Winter 1963/1964 erschien wieder 2x jährlich das „Hänsel-Echo“. Mit Heft 17 der Nachkriegshefte wurde das Erscheinen des „Hänsel-Echos“ eingestellt.
2015 endete das Kapitel Hänsel-Werke endgültig, der Betrieb in Iserlohn wurde eingestellt. Da war der Standort im Osten mit all seinen Nachfolge-Betrieben schon längst Geschichte.
Übrig geblieben sind ein paar Restexemplare einer Zeitschrift, zu den Lesern vorallem das Schneider-Handwerk gehörte, dass sich Tipps und Kniffe für die Verarbeitung der Forster Tuche holte und die neueste Mode gleich mit präsentiert bekam.
Mit der Herausgabe des „neuen“ „Hänsel-Echos“ möchten wir – zeitgeschichtlich Interessierte, Kulturinteressierte, kreative Köpfe – ein neues Kapitel aufschlagen. Erinnerungen an die große Tuchmacher-Traditionen der Stadt Forst (Lausitz) sollen sich ergänzen mit nichtalltäglichen und interessanten Geschichten und spannenden Fakten rund um unsere Stadt – im Hier und Jetzt. Die Wahl des Titels „Hänsel-Echo“ ist dabei bewußt gewählt als kleine Reminiszenz an die Zeit, als Forst vor lauter Innovationen nur so strotzte und das „Hänsel-Echo“ nur eine Forster Errungenschaft von vielen war.